09.03.2021 EuGH: Ist Rufbereitschaft Arbeitszeit oder Freizeit?

Schon seit Jahren beschäftigen sich Gerichte mit der Frage, wie Arbeitnehmer *innenbezahlt werden müssen, die sich in ihrem Beruf für Einsätze bereithalten. Bislang eindeutig entschieden sind nur die beiden Fälle: Arbeitszeit und Freizeit. Der EuGH hat nun in seiner Entscheidung aus März 2021 vorgegeben, wann Rufbereitschaft Arbeitszeit und wann Freizeit ist.

Verfasst von Rechtsanwalt Martin Bechert 18. März 2021 · Aktualisiert: 30. Januar 2024

Ist die durch einen Arbeitnehmer*in geleistete Rufbereitschaft Arbeitszeit oder Freizeit? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 09.03.2021 entschieden, wann Rufbereitschaft als Arbeitszeit und wann als Freizeit zu bewerten ist.

Wer hat geklagt?

Ein deutscher Feuerwehrmann und ein slowenischer spezialisierter Techniker hatten geklagt. In beiden Fällen ging es um die Frage, ob Rufbereitschaft als Arbeitszeit zu werten und entsprechend zu vergüten sei.

Der Feuerwehrmann aus Hessen muss während der Bereitschaftszeit auf Abruf im Alarmfall innerhalb von 20 Minuten in Einsatzkleidung und mit dem ihm zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug die Stadtgrenzen erreichen. Die Stadt wertete diese Zeiten nicht als Arbeitszeit. Der Feuerwehrmann klagte vor dem Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht Darmstadt setzte das Verfahren aus und ersuchte den EuGH um eine Vorabentscheidung.

Varianten der Bereitschaftszeit im deutschen Arbeitsrecht

Arbeitsbereitschaft: Die Arbeitnehmer*innen müssen sich am Arbeitsplatz bereithalten und jederzeit einsatzbereit sein. – Es handelt sich um Arbeitszeit.

Bereitschaftsdienst: Es ist keine unmittelbare Anwesenheit am Arbeitsplatz erforderlich. Der Arbeitnehmer*in muss jedoch die Arbeit sofort oder jedenfalls zeitnah aufnehmen können. Der Aufenthaltsort wird arbeitgeberseitig bestimmt. – Auch dies wird als Arbeitszeit gewertet.

Rufbereitschaft: Die Arbeitnehmer*innen müssen ihre Einsatzfähigkeit sicherstellen und jederzeit erreichbar sein, müssen sich aber grundsätzlich nicht am Ort der etwaigen Arbeitsaufnahme aufhalten. Zur Arbeitsaufnahme sind Fristen, Ort und Vergütung häufig vertraglich vereinbart. – Dieser Fall wurde jetzt vom EuGH entschieden. Allerdings muss die Entscheidung nun noch von den nationalen Gerichten umgesetzt werden.

Entscheidung des EuGH: Arbeitszeit oder Freizeit

Der Europäische Gerichtshof musste entscheiden, wann Rufbereitschaft Arbeitszeit ist und wann Rufbereitschaft Freizeit ist. Der EuGH hat dazu am 09.03.2021 eine neue Entscheidung gefällt (Pressemitteilung Nr. 35/21 des Gerichtshof der Europäischen Union vom 09.03.2021). Laut EuGH ist Rufbereitschaft nur dann in vollem Umfang Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer*in währenddessen in der Gestaltung seiner Freizeit „ganz erheblich“ beeinträchtigt ist. Liegt keine erhebliche Beeinträchtigung vor, so gelten nur die Stunden als Arbeitszeit, in denen tatsächlich Arbeitsleistung erbracht werden muss.

Im slowenischen Fall ging es um einen Techniker, der neben seinen zwölf Stunden Arbeitszeit täglich sechs Stunden Rufbereitschaft leistete. Er musste auf Abruf innerhalb einer Stunde in einer relativ abgelegenen Sendeanlage in den Bergen sein. Dazu hielt sich der Techniker in einer ihm arbeitgeberseitig zur Verfügung gestellten Dienstunterkunft auf, die jedoch nur wenige Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung bot. Der oberste Gerichtshof in Slowenien legte dem EuGH den Fall zur Vorabentscheidung vor.

Die Einzelfälle sollen nun von den nationalen Gerichten geprüft und entschieden werden, nach den Vorgaben des EuGHs.

Vorgaben des EuGHs zur Anerkennung der Rufbereitschaft als Arbeitszeit

So müsse laut EuGH zur Bewertung der Rufbereitschaft als Arbeitszeit berücksichtigt werden, innerhalb welcher Frist der Arbeitnehmer*innen am Einsatzort sein muss. Neben weiteren Verpflichtungen wie dem Tragen von Einsatzkleidung müssten andererseits auch Erleichterungen wie beispielsweise die Bereitstellung eines Dienstfahrzeug in die Wertung einfließen.

Zudem spielt die Häufigkeit der Einsätze und die daraus resultierende Wahrscheinlichkeit zum Einsatz gerufen zu werden eine Rolle. Bei sehr häufigen Einsätzen kann der Arbeitnehmer*in die Zeit rein faktisch nicht als Freizeit nutzen. Unerheblich sei jedoch, so der EuGH, dass aufgrund des abgelegenen Aufenthaltsortes die Freizeitmöglichkeiten der Arbeitnehmer*innen eingeschränkt seien.

Wie wird die Rufbereitschaft vergütet?

Laut EuGH ist die Rufbereitschaft nur dann voll zu vergüten, wenn nach Abruf der Arbeit tatsächlich gearbeitet wird. Darüber hinaus mache die EU-Arbeitszeitrichtlinie grundsätzlich keine Vorgaben zur Vergütung von Bereitschaftsdiensten. Die Entscheidungen der nationalen Gerichte sind abzuwarten.