Gorillas: Kündigung wegen wildem Streik offensichtlich unwirksam

Ein Arbeitnehmer des Kurierlieferdienstes Gorillas, der Mitglied des Wahlvorstands war, muss trotz einer wegen Teilnahme an einem "wilden" Streik ausgesprochener Kündigung vorläufig beschäftigt werden. Wegen der Mitgliedschaft im Wahlvorstand ist die Kündigung offensichtlich unwirksam, so das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Urteil vom 12. Januar 2022 (23 SaGa 1521/21).

Verfasst von Rechtsanwalt Martin Bechert 7. Februar 2022 · Aktualisiert: 8. Februar 2022

Urteil

Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Januar 2022, Az. 23 SaGa 1521/21

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Beschäftigung des Verfügungsklägers nach außerordentlicher Kündigung durch die Verfügungsbeklagte im befristeten Arbeitsverhältnis.

Der Verfügungskläger war aufgrund Arbeitsvertrages vom 11.03.2021 seit dem 12.03.2021 , befristet bis zum 11.03.2022, vollzeitig im Umfang von 20 Wochenstunden gegen eine Vergütung von 1.041,67 Euro brutto monatlich als sogenannter „Rider“ bei der Verfügungsbeklagten beschäftigt. Die Verfügungsbeklagte beschäftigt in Berlin mehr als 2.000 Arbeitnehmer, überwiegend Rider, die sie als Fahrradkuriere für die von ihr angebotenen kurzfristigen Lieferungen von Waren des Supermarkt-Sortiments einsetzt.

Bei der Verfügungsbeklagten wurde Ende November 2021 erstmalig eine Betriebsratswahl durchgeführt, in der der Verfügungskläger als eines von 19 Betriebsratsmitgliedern gewählt wurde. Der Betriebsratswahl vorausgegangen war eine Betriebsversammlung im Juni 2021 , in der ein Wahlvorstand gewählt wurde, bestehend aus 9 Wahlvorstandsmitgliedern und 9 Ersatzmitgliedern, darunter der Verfügungskläger als 4. Ersatzmitglied.

Am 01.10.2021 beteiligte sich der Verfügungskläger außerhalb seiner Arbeitszeit an einer von der Verfügungsbeklagten als illegaler Streik beurteilten Aktion vor dem als „Warehouse“ bezeichneten Lager der Verfügungsbeklagten in Berlin-Schöneberg. Am Abend desselben Tages erschien er nicht zu seiner im Dienstplan vorgesehenen Arbeit. Zwischen den Parteien ist streitig, ob und in welchem Maße der Kläger damit gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat.

Die Verfügungsbeklagte versuchte am 05.10.2021 und 06.10.2021 erfolglos, dem Verfügungskläger unter seiner zu Beginn des Arbeitsverhältnisses mitgeteilten Anschrift ein Kündigungsschreiben zuzustellen. Am 08.10.2021 gegen 14.30 Uhr teilte eine Mitarbeiterin der Verfügungsbeklagten dem Verfügungskläger telefonisch mit, dass Versuche fehlgeschlagen seien, ihm ein Kündigungsschreiben unter seiner im Arbeitsvertrag angegebenen Anschrift zuzustellen, und bat ihn um Mitteilung seiner aktuellen Anschrift. Der Verfügungskläger beendete das Telefonat, ohne seine neue Anschrift mitzuteilen. Am 02.11.2021 erhielt er an seiner neuen Adresse ein Kündigungsschreiben der Verfügungsbeklagten unter dem Datum 06.10.2021 , mit dem die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos kündigte. Am 03.11.2021 beantragte sie vorsorglich die gerichtliche Zustimmungsersetzung gemäß S 103 Abs. 2a BetrVG zu einer weiteren außerordentlichen Kündigung des Verfügungsklägers. In dem vor dem Arbeitsgericht Berlin geführten diesbezüglichen Verfahren hat noch kein Anhörungstermin stattgefunden.

Seit dem 07.10.2021 beschäftigte die Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger nicht mehr, strich die ihm bereits zugeteilten Dienste aus dem Dienstplan und entzog ihm seine Zugangsberechtigung für die App, mit der sie ihren Arbeitnehmern Dienstzeiten und Aufträge mitteilt. Die Verfügungsbeklagte ermöglichte es dem Verfügungskläger, zum Zwecke der Betriebsratstätigkeit sowie zuvor zum Zwecke der Wahlwerbung die Betriebsräume zu betreten.

Am 04.10.2021 hängte der Wahlvorstand ein Wahlausschreiben für die Betriebsratswahl in den Warehouses der Verfügungsbeklagten aus. Zwischen den Parteien ist streitig, ob am Abend des 04.10.2021 ein Wahlvorschlag unter der Bezeichnung „Banna Dreams“ bei dem Wahlvorstand einging, auf dem der Verfügungskläger unter Ziffer 21 als Wahlbewerber genannt war, ob die vom Verfügungskläger im Berufungsverfahren angeschwärzt zur Akte gereichte Vorschlagsliste nebst Unterstützerunterschriften ordnungsgemäß zustande gekommen ist und ob diese vollständig am 04.10.2021 bei dem Wahlvorstand eingereicht worden ist.

Am 08.10.2021 fand von 11:00 bis 18:00 Uhr eine Wahlvorstandssitzung statt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Verfügungskläger aufgrund der Verhinderung von zwei Wahlvorstandsmitgliedern und von den an Positionen 1 und 2 gewählten Ersatzmitgliedern zu der Wahlvorstandsitzung am 08.10.2021 eingeladen wurde und anstelle der verhinderten Mitglieder teilnahm.

Der Verfügungskläger wendet sich im Hauptsacheverfahren 34 Ca 9336/21 vor dem Arbeitsgericht Berlin gegen die Wirksamkeit einer mündlichen außerordentlichen Kündigung vom 08.10.2021 , gegen die Wirksamkeit der ihm am 02.11.2021 zugegangenen schriftlichen Kündigung vom 06.10.2.021 sowie gegen die Wirksamkeit der Befristung seines Arbeitsvertrages bis zum 11.03.2022 und verlangt seine vorläufige Weiterbeschäftigung. In diesen Verfahren ist am 18.01.2022 ein Güte- und Kammertermin anberaumt. Mit dem hiesigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 22.10.2021 hat der Verfügungskläger seine vorläufige Weiterbeschäftigung bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren geltend gemacht, wobei er klargestellt hat, dass sein Begehren auf den Zeitraum bis zur Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge im Hauptsacheverfahren bezogen ist.

Der Verfügungskläger hat erstinstanzlich ausgeführt, für die im einstweiligen Rechtsschutz geltend gemachte Beschäftigung bestehe ein Verfügungsanspruch, da die von der Verfügungsbeklagten erklärten außerordentlichen Kündigungen offensichtlich unwirksam seien. Dies ergebe sich aus dem Fehlen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes, aus dem Verstoß gegen das Schriftformgebot des § 623 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bei der von ihm behaupteten mündlichen Kündigung im Telefonat vom 08.10.2021 sowie aus der Nichtberücksichtigung seines Sonderkündigungsschutzes gemäß § 15 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) und der fehlenden gerichtlichen Zustimmungsersetzung gemäß § 103 Abs- 2a Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Sonderkündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 KSchG bestehe im Hinblick darauf, dass der Verfügungskläger zum Zeitpunkt des Telefonats vom 08.10.2021 sowohl Wahlbewerber als auch nachgerücktes Mitglied des Wahlvorstands gewesen sei. Seine Eigenschaft als
Wahlbewerber ergebe sich daraus, dass er an Position 21 der Vorschlagsliste „Banna Dreams“ geführt worden sei, die am 04.10.2021 abends bei dem Wahlvorstand ordnungsgemäß und vollständig eingereicht worden sei. Sein Status als Wahlvorstandsmitglied ergebe sich daraus, dass er im Hinblick auf die Verhinderung von zwei ordentlichen Wahlvorstandsmitgliedern und den an Position 1 und 2 stehenden Ersatzmitgliedern zu der Wahlvorstandssitzung am 08.10.2021 von 11 bis 18:00 Uhr eingeladen worden sei und an dieser als nachrückendes Wahlvorstandsmitglied tatsächlich teilgenommen habe. Ein Verfügungsgrund sei aufgrund des aus seiner Sicht zweifelsfrei bestehenden Verfügungsanspruchs ohne Weiteres gegeben. Für den Beschäftigungsanspruch bestehe der Verfügungsgrund im Übrigen im Hinblick darauf, dass die zu beanspruchende Beschäftigung anderenfalls täglich unwiederbringlich vereitelt werde. Zur Glaubhaftmachung seiner diesbezüglichen Angaben hat der Verfügungskläger erstinstanzlich betreffend seine Wahlbewerbung überwiegend geschwärzte Unterlagen sowie eine eidesstattliche Versicherung der Wahlvorstandsvorsitzenden vom 02.11.2021 zur Akte gereicht. Betreffend seinen Status als nachgerücktes Wahlvorstandsmitglied hat er in seinem Schriftsatz vom 28.10.2021 auf Anlagen Bezug genommen, die trotz ordnungsgemäßen Eingangs des Schriftsatzes nebst Anlagen im elektronischen Postfach des Arbeitsgerichts am selben Tag aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen erstinstanzlich nicht zur Akte gelangt sind.

Der Verfügungskläger hat zuletzt beantragt,
der Verfügungsbeklagten aufzugeben, den Verfügungskläger bis zur Entscheidung in der Hauptsache beim Arbeitsgericht Berlin zum Geschäftszeichen 34 Ca 9361/21 mit 20 Wochenstunden als Rider in Berlin weiter zu beschäftigen.

Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist davon ausgegangen, dass weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund vorlägen. Die Kündigung sei nicht offensichtlich unwirksam, sondern vielmehr wirksam erklärt worden. Außerordentlicher Kündigungsgrund gemäß § 626 Abs. 1 BGB sei das Verhalten des Verfügungsklägers am 01.10.2021. Durch seine Weigerung am 08.10.2021, seine Wohnanschrift im Telefonat mitzuteilen, habe der Verfügungskläger den Zugang des Kündigungsschreibens mit der Folge vereitelt, dass eine Zugangsfiktion des letztlich am 02.11.2021 zugegangenen
Kündigungsschreibens spätestens am 08.10.2021 anzunehmen sei. Sonderkündigungsschutz des Klägers gemäß § 15 Abs. 3 KSchG habe nicht bestanden und sei vom Kläger nicht glaubhaft gemacht worden, da sich aus seinem Vortrag und den vorgelegten Anlagen weder seine Wahlbewerbung noch sein Nachrücken als Wahlvorstandsmitglied am 08.10.2021 ergäben.

Darüber hinaus sei das gesamte Wahlverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden und sei eine ordnungsgemäße Einreichung eines Wahlvorschlags „Banna Dreams“ nicht feststellbar. Die Teilnahme des Verfügungsklägers an Sitzungen des Wahlvorstands als Ersatzmitglied hat die Verfügungsbeklagte mit Nichtwissen bestritten. Verhinderungsgründe für einzelne Wahlvorstandsmitglieder habe er nicht nachgewiesen, diese seien auch im Falle seiner Teilnahme an der Sitzung am 08.10.2021 nicht belegt. Selbst wenn der Verfügungskläger als nachrückendes Wahlvorstandsmitglied an der Sitzung am 08.10.2021 teilgenommen habe, folge daraus kein
Beschäftigungsanspruch. Ein Verfügungsgrund fehle bereits im Hinblick darauf, dass der Verfügungskläger seinen Antrag erst zwei Wochen nach dem Telefonat vom 08.10.2021 bei Gericht angebracht habe.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Verfügungsklägers mit der Begründung zurückgewiesen, es fehle sowohl ein Verfügungsgrund als auch ein Verfügungsanspruch für die begehrte vorläufige Beschäftigung. Es könne nicht festgestellt werden, dass die von der Verfügungsbeklagten erklärte außerordentliche Kündigung offensichtlich unwirksam sei, da der Verfügungskläger das Vorliegen der Voraussetzungen seines Sonderkündigungsschutzes gemäß § 15 Abs. 3 KSchG weder als Wahlvorstandsmitglied noch als Wahlbewerber nachvollziehbar dargelegt und glaubhaft gemacht habe. Für seine Position als Wahlbewerber ergebe sich dies daraus, dass die vorgelegte Vorschlagsliste nebst Stützunterschriften lediglich geschwärzt und damit nicht überprüfbar zur Akte gereicht worden sei und die eidesstattliche Versicherung der Wahlvorstandsvorsitzenden mangels Überprüfbarkeit der Richtigkeit ihrer Angaben anhand der Vorschlagsliste nicht ausreiche.

Hinsichtlich seiner Position als nachgerücktes Wahlvorstandsmitglied habe der Kläger seine diesbezüglichen Behauptungen nicht glaubhaft gemacht und keine Beweismittel angeboten.

Gegen dieses dem Verfügungskläger am 10.11.2021 zugestellte Urteil wendet er sich mit der am 15.11.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufung und Berufungsbegründung. Im Berufungsverfahren hat der Kläger eine Vorschlagsliste „Banna Dreams“ nebst Unterstützerunterschriften ungeschwärzt zur Akte gereicht und sich auf die eidesstattlichen Versicherungen der Wahlvorstandsvorsitzenden vom 02.11.2021 betreffend die Vorschlagsliste und vom 26.10.2021 betreffend seine Teilnahme an der Wahlvorstandssitzung am 08.10.2021 gestützt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (BI. 393 und 392 d. A.).

Der Verfügungskläger geht weiter davon aus, dass die ihm gegenüber erklärten außerordentlichen Kündigungen offensichtlich unwirksam seien. Es fehle sowohl am außerordentlichen Kündigungsgrund als auch an der zur Wirksamkeit erforderlichen Schriftform gemäß § 623 BGB.

Sein besonderer Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 KSchG ergebe sich sowohl aus seiner Funktion als Wahlbewerber als auch aus seiner Funktion als nachgerücktes Wahlvorstandsmitglied die spätestens im worden seien. Da ein gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 2a BetrVG nicht durchgeführt worden sei, sei die Kündigung im Hinblick auf den Sonderkündigungsschutz offensichtlich unwirksam mit der Folge, dass ein Verfügungsanspruch auf vorläufige Beschäftigung trotz der erklärten Kündigung bestehe. Der Verfügungsgrund folge im Hinblick auf die offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung ohne Weiteres dem Verfügungsanspruch, ohne dass ein besonderes Beschäftigungsinteresse dargelegt werden müsse. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gebiete im Hinblick auf den täglichen Untergang des Beschäftigungsanspruchs im Falle der Nichtbeschäftigung die Durchsetzung der tatsächlichen Beschäftigung mit der Folge, dass der Verfügungsgrund gegeben sei. Die Interessenabwägung führe zum deutlich überwiegenden Interesse des Verfügungsklägers an seiner vorläufigen Beschäftigung gegenüber dem Interesse der Verfügungsbeklagten an der Nichtbeschäftigung. Im Übrigen bestehe ein besonderes Beschäftigungsinteresse des Verfügungsklägers im Hinblick auf seine Position als Wahlbewerber, mit der das Erfordernis seiner Präsenz im Betrieb einhergehe. Weiter bestehe ein finanzielles Interesse an der tatsächlichen Beschäftigung, um mit dem daraus folgenden Arbeitsentgeltanspruch seine wirtschaftliche Existenz zu sichern.

Der Verfügungskläger beantragt zuletzt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.10.2021 – 34 Ga 10621/21 – abzuändern und der Verfügungsbeklagten aufzugeben, den Verfügungskläger bis zur Entscheidung in der Hauptsache beim Arbeitsgericht Berlin, Geschäftszeichen 34 Ca 9361/21, betreffend die Kündigungsschutzanträge mit 20 Wochenstunden als „Rider“ in Berlin weiter zu beschäftigen.

Die Verfügungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags und hält die Berufung bereits für unzulässig, im Übrigen für unbegründet. Ein Verfügungsanspruch des Klägers scheitere daran, dass die ihm gegenüber erklärte außerordentliche Kündigung nicht offensichtlich unwirksam sei. Ein Sonderkündigungsschutz des Klägers als Wahlbewerber bestehe nicht, da eine ordnungsgemäße Wahlbewerbung auch mit der Vorlage der ungeschwärzten Vorschlagsliste weder dargelegt noch glaubhaft gemacht sei. Ein Sonderkündigungsschutz bestehe aus den erstinstanzlich ausgeführten Gründen auch nicht als Wahlvorstandsmitglied. Selbst wenn der Verfügungskläger als Wahlvorstandsmitglied tätig gewesen sei, begründe dies keinen Weiterbeschäftigungsanspruch und könne dahinstehen, da sein Status als Wahlvorstandsmitglied gegebenenfalls nach der Betriebsratswahl geendet habe. Einen Verfügungsgrund habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Ein unersetzlicher Nachteil durch seine Nichtbeschäftigung bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren sei weder dargelegt noch glaubhaft gemacht und bestehe auch tatsächlich nicht.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den Schriftsatz des Verfügungsklägers vom 15.11.2021 (Blatt 348 ff. d. A.) und den Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 23.12.2021 (Blatt 421 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) statthafte Berufung des Verfügungsklägers ist form- und fristgerecht gemäß §§ 64 Abs. 6 S. 1, 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden. Der Verfügungskläger hat sich auch in ausreichender Weise gemäß § 520 Abs. 3 ZPO mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt. Die Berufung ist damit zulässig.

Die Berufung ist auch begründet. Die einstweilige Verfügung war gemäß § 62 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 935, 940 ZPO zu erlassen, da insoweit ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund gegeben waren. Der Verfügungsanspruch auf vorläufige Beschäftigung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge des Verfügungsklägers in der Hauptsache folgt daraus, dass im Ergebnis der summarischen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von der offensichtlichen Unwirksamkeit der von der Verfügungsbeklagten erklärten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien vom 06.10.2021 gemäß § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG auszugehen ist. Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er am 08.10.2021 von 11:00 Uhr bis 18:00 Uhr nachgerücktes Wahlvorstandsmitglied war, sodass in diesem Zeitraum sein besonderer Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 KSchG bestanden hat. In diesen Zeitraum des Sonderkündigungsschutzes als Wahlvorstandsmitglied fiel der aus Sicht der Verfügungsbeklagten erfolgte fiktive Zugang des Kündigungsschreibens am 08.10.2021 gegen 14:30 Uhr. Die Voraussetzungen der ausnahmsweisen Zulässigkeit der außerordentlichen Kündigung eines Wahlvorstandsmitglieds gemäß § 15 Abs. 3 S. 1 letzter Halbs. KSchG liegen nicht vor, weil die nach S 103 Abs. 2a BetrVG erforderliche Zustimmung nicht gerichtlich ersetzt worden ist. Der Verfügungsgrund und das besondere Beschäftigungsinteresse des Verfügungsklägers folgen daraus, dass sein offensichtlich bestehender Beschäftigungsanspruch mit jedem Tag der Nichtbeschäftigung unwiederbringlich untergeht. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt vorliegend sein Beschäftigungsinteresse das Nichtbeschäftigungsinteresse der Verfügungsbeklagten.

Der Verfügungskläger wird wegen der erklärten außerordentlichen Kündigung bis zum Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses am 11.03.2022 von der Verfügungsbeklagten nicht beschäftigt, und sein Antrag im einstweiligen Verfügungsverfahren bezieht sich auf diese Nichtbeschäftigung. Im Hinblick darauf war im Urteilstenor klarzustellen, dass sich die hiesige Entscheidung auf die vorläufige Beschäftigung bis zum Fristablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses erstreckt. Für den Fall, dass das Arbeitsgericht im Hauptsacheverfahren 34 Ca 9361/21 bis zum 11.03.2022 noch keine Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge getroffen haben sollte, endet die Pflicht der Verfügungsbeklagten zur vorläufigen Beschäftigung des Verfügungsklägers auf der Grundlage des vorliegenden Berufungsurteils mit dem Fristablauf. Seine etwaige Nichtbeschäftigung nach Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.Der Verfügungskläger hat einen Verfügungsanspruch auf seine vorläufige Beschäftigung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge im Verfahren 34 Ca 9361/21 gemäß §§ 61 l a, 613 i. V. m. S 242 BGB, weil die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses offensichtlich unwirksam ist.

1.1 Der Arbeitgeber ist grundsätzlich verpflichtet, seinen Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis vertragsgemäß zu beschäftigen, wenn dieser es verlangt. Dies folgt aus §§ 61 la, 613 i. V. m. § 242 BGB, wobei die Generalklausel des § 242 BGB durch die Wertentscheidung der Artikel 1 und 2 Grundgesetz ausgefüllt wird (vgl. LAG Hessen, 28. Juni 2010- 16 SaGa 811/10 – Rn- 24).

Von dem im ungekündigten Arbeitsverhältnis bestehenden allgemeinen Beschäftigungsanspruch zu unterscheiden ist der Weiterbeschäftigungsanspruch innerhalb eines in seinem rechtlichen Bestand umstrittenen Arbeitsverhältnis nach Ausspruch einer Kündigung. Mit dem Beendigungstermin endet grundsätzlich das Recht des Arbeitnehmers auf Beschäftigung und besteht ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers daran, die Kündigung praktisch zu vollziehen. Dieses Interesse muss jedoch zurücktreten, wenn die gerichtliche Prüfung erster Instanz zu dem Ergebnis kommt, dass die Kündigung unwirksam ist. Deshalb kann der Arbeitnehmer seinen Weiterbeschäftigungsanspruch auch schon vor dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens gerichtlich verfolgen, indem er erstinstanzlich für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag seine Weiterbeschäftigung begehrt (dazu grundlegend BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84).

Vor der erstinstanzlichen Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung entspricht die Interessenlage der Arbeitsvertragsparteien dann derjenigen im ungekündigten Arbeitsverhältnis, wenn die umstrittene Kündigung offensichtlich unwirksam ist. Bei offensichtlicher Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung besteht in Wahrheit kein ernstzunehmender Zweifel am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, sodass in einem solchen Fall allein mit der rein subjektiven Ungewissheit des Arbeitgebers über den Prozessausgang kein der Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehendes überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründet werden kann. In solchen Fällen besteht nämlich objektiv gar keine Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, sodass sie auch nicht zum Anlass genommen werden kann, den Arbeitnehmer vorübergehend nicht zu beschäftigen. Eine offensichtlich unwirksame Kündigung liegt nur dann vor, wenn sich schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängen muss. Die Unwirksamkeit der Kündigung muss also ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegen. Ein Fall der offensichtlich unwirksamen Kündigung wird regelmäßig gegeben sein, wenn bei feststehendem Sachverhalt die Rechtsfolge der Unwirksamkeit oder Nichtigkeit der Kündigung unzweifelhaft ohne jeden Beurteilungsspielraum des Tatsachenrichters sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Nur bei einem solchen Verständnis des Begriffs der offensichtlich unwirksamen Kündigung ist es gerechtfertigt, diese Kündigung für die Interessenabwägung unberücksichtigt zu lassen und für den Beschäftigungsanspruch davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht (vgl. BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – Rn. 83 ff.).

Diese Maßstäbe gelten auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Durchsetzung einer tatsächlichen Beschäftigung nach erfolgter außerordentlicher Kündigung und vor der erstinstanzlichen Entscheidung über deren Wirksamkeit. Im Eilverfahren erfolgt grundsätzlich ebenso wie im Hauptsacheverfahren eine volle Rechtsprüfung. Allein in tatsächlicher Hinsicht ist das Gericht auf eine summarische Sachprüfung beschränkt, da wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens insbesondere die Beweisführung erleichtert ist (vgl. Zöller/Vollkommer 34. Aufl. 2022, ZPO, 922 Rn. 7, 935 Rn. 7 f.mwN). Mit der Rechtsprechung des Großen Senats ist die Rechtsprüfung vor Erlass eines erstinstanzlichen Urteils über den Bestand des Arbeitsverhältnisses gleichwohl darauf beschränkt, nur offensichtliche Rechtsmängel der Kündigung zu berücksichtigen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 19. Februar 2021 – 8 SaGa 11/20 – Rn. 87).

1.2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Verfügungskläger hat dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die von der Verfügungsbeklagten erklärte außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom 06.10.2021 wegen seines Sonderkündigungsschutzes als Wahlvorstandsmitglied offensichtlich unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Er hat zur Überzeugung der Kammer vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass er am 08.10.2021 von 11 Uhr bis 18:00 Uhr als nachgerücktes Ersatzmitglied Wahlvorstandsmitglied war und daher jedenfalls in diesem Zeitraum, in den das Telefonat fiel, den besonderen Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 KSchG genossen hat. Dieser besondere Kündigungsschutz gilt für Ersatzmitglieder, soweit und solange sie ein verhindertes ordentliches oder vorrangig nachgerücktes Mitglied vertreten (vgl. für ein Ersatzmitglied des Betriebsrats: BAG 27. September 2012 – 2 AZR 955/11 – Rn. 18). Die Kündigung des war daher ohne gerichtliche Zustimmungsersetzung gemäß nicht vorliegt, unzulässig. Soweit die Verfügungsbeklagte mit Zustimmungsersetzung zu einer beabsichtigten weiteren außerordentlichen Kündigung des Verfügungsklägers beantragt hat, kann diese sich im Falle ihrer späteren Erteilung nicht rückwirkend auf die bereits erklärte Kündigung vom 06.10.2021 auswirken, sondern ausschließlich auf die von der Verfügungsbeklagten beabsichtigte weitere Kündigung. Eine solche weitere Kündigung ist bisher nicht erklärt worden und ist nicht Gegenstand des hiesigen Rechtsstreits.

Der Verfügungskläger hat nachvollziehbar dargelegt, dass er durch die Wahlvorstandsvorsitzende zu der Wahlvorstandssitzung am 08.10.2021 im Zeitraum von 11:00 Uhr bis 18:00 Uhr als nachgerücktes Wahlvorstandsmitglied eingeladen worden ist und an dieser Wahlvorstandssitzung tatsächlich teilgenommen hat. Er hat weiter dargelegt, dass sein Nachrücken im Hinblick darauf erfolgt ist, dass zwei Wahlvorstandsmitglieder, nämlich Frau L. und Herr G., urlaubsbedingt an der Teilnahme verhindert waren, dass der an Position 1 der Ersatzmitglieder gewählte Herr K. krankheitsbedingt an der Teilnahme verhindert war und dass die an Position 2 der Ersatzmitglieder gewählte Frau S. wegen ihres Ausscheidens aus dem Unternehmen der Verfügungsbeklagten an der Teilnahme verhindert war. Zur Glaubhaftmachung seiner diesbezüglichen Angaben hat er sich auf die eidesstattliche Versicherung der Wahlvorstandsvorsitzenden vom 26.10.2021 gestützt. Die Kammer hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherung der Wahlvorstandsvorsitzenden und erachtet sie im Ergebnis der vorgenommenen Auslegung für eindeutig. Mit der eidesstattlichen Versicherung hat die Wahlvorstandsvorsitzende nicht nur versichert, dass die vier Mitglieder und Ersatzmitglieder des Wahlvorstands ihre Verhinderung angezeigt hätten, sondern sie hat durch Angabe des jeweiligen Verhinderungsgrundes nach dem objektiven Empfängerhorizont eines verständigen Adressaten implizit weiter erklärt, dass die vier Mitglieder aufgrund der mitgeteilten Gründe auch tatsächlich nicht an der Wahlvorstandssitzung teilgenommen haben. Die Angabe, die Mitglieder seien aus den genannten Gründen verhindert, umfasst ersichtlich die Angabe, sie hätten infolge der Verhinderung auch nicht an der Wahlvorstandsitzung teilgenommen.

Diesem glaubhaft gemachten Vorbringen des Verfügungsklägers ist die Verfügungsbeklagte nicht in beachtlicher Weise entgegengetreten. Es ist deshalb als unstreitig zu bewerten. Soweit die Verfügungsbeklagte die in der eidesstattlichen Versicherung sowie schriftsätzlich vom Verfügungskläger angegebenen Verhinderungsgründe der einzelnen Mitglieder erstinstanzlich mit Nichtwissen bestritten und im Berufungsverfahren ausgeführt hat, sie seien nicht „belegt“, genügt dies im Hinblick darauf nicht, dass der Verfügungsbeklagten eine Überprüfung der Angaben ohne Weiteres möglich war. Die Verfügungsbeklagte war aufgrund ihrer Arbeitgeberstellung gegenüber allen vier benannten Mitgliedern tatsächlich und rechtlich in der Lage zu überprüfen, ob Frau L. und Herr G. Urlaub beantragt und erhalten hatten, ob Herr K. seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit angezeigt hatte und ob Frau S. aus dem Unternehmen ausgeschieden war. Dass diese Angaben tatsächlich nicht zuträfen, hat die Verfügungsbeklagte nicht behauptet. Die von der Verfügungsbeklagten im Kammertermin des Berufungsverfahrens geäußerte Annahme, es sei nach dem Wortlaut der eidesstattlichen Versicherung der Wahlvorstandsvorsitzenden nicht auszuschließen, dass einzelne Mitglieder trotz Anzeige ihrer Verhinderung dennoch an der Wahlvorstandssitzung teilgenommen hätten, ist fernliegend und weder durch Tatsachen indiziert noch auf Tatsachen gestützt und daher unbeachtlich.

Für die Frage, ob Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG i. V. m. § 103 Abs. 2a BetrVG besteht, ist auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung i. S. v. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB abzustellen, ohne dass es auf die Kenntnis des Arbeitgebers vom Nachrücken des Ersatzmitglieds zu diesem Zeitpunkt ankommt (vgl. zum Ersatz-Betriebsratsmitglied: BAG 27. September 2012 – 2 AZR 955/11 – Rn. 20, 24), Vorliegend stützt sich die Verfügungsbeklagte auf einen fiktiven Zugang des Kündigungsschreibens vom 06.10.2021 wegen der von ihr angenommenen Zugangsvereitelung im Hinblick auf die Weigerung des Verfügungsklägers, seine aktuelle Anschrift auf Nachfrage in dem Telefonat der Parteien am 08.10.2021 gegen 14:30 Uhr anzugeben. Zu diesem Zeitpunkt war der Verfügungskläger als nachgerücktes Ersatzmitglied Wahlvorstandsmitglied und genoss den besonderen Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG. Soweit die Verfügungsbeklagte ausgeführt hat, die Zugangsfiktion sei „spätestens“ am 08.10.2021 eingetreten, ist dies nicht nachvollziehbar. Da der Verfügungskläger vor dem Telefonat keine Kenntnis von der ihm gegenüber beabsichtigten Kündigung hatte, konnte er deren Zugang auch nicht vereiteln. Sofern eine Zugangsvereitelung vorliegt, ist diese daher am 08.10.2021 durch das Verhalten des Verfügungsklägers im Telefonat erfolgt. Eine gerichtliche Zustimmungsersetzung hat die Verfügungsbeklagte nicht erwirkt mit der Folge, dass die Kündigung vom 06.10.2021 zum Zeitpunkt ihres Zugangs – bei unterstellter Zugangsvereitelung durch den Verfügungskläger und unterstelltem fiktivem Zugang am 08.10.2021 – offensichtlich unwirksam war. Für den Fall, dass kein fiktiver Zugang des Kündigungsschreibens am 08.102021 sondern erst ein Zugang am 02.11.2021 anzunehmen wäre, wäre nicht innerhalb der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gekündigt worden mit der Folge der offensichtlichen Unwirksamkeit der Kündigung aus diesem Grund. Ob entsprechend der Annahme des Verfügungsklägers am 08.10.2021 im Telefonat eine mündliche Kündigung erklärt worden ist, kann dahinstehen. Die Verfügungsbeklagte beruft sich nicht auf eine solche – wegen des Schriftformgebotes des § 623 BGB ggf. offensichtlich unwirksame – mündliche Kündigung.

Im Hinblick auf die offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung wegen der Nichtberücksichtigung des Sonderkündigungsschutzes des Verfügungsklägers als Wahlvorstandsmitglied kann dahinstehen, ob die Kündigung entsprechend der Annahme des Verfügungsklägers darüber hinaus aus weiteren Gründen offensichtlich unwirksam war.

Es bestand auch der gemäß §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund für den
Erlass der einstweiligen Verfügung. Denn ohne den Erlass der einstweiligen Verfügung droht der – nach Einschätzung der Kammer unzweifelhaft gegebene – Anspruch des Verfügungsklägers auf Beschäftigung mit jedem Tag endgültig unterzugehen. Angesichts des auf den 18.01.2022 anberaumten Verhandlungstermins im Hauptsacheverfahren 34 Ca 9631/21 ist zwar eine kurzfristige Entscheidung im Hauptsacheverfahren möglich. Ob dieser Rechtsstreit tatsächlich im anberaumten Termin betreffend die Kündigungsschutzanträge abgeschlossen werden kann, ist jedoch weder für die Parteien noch für die Kammer zuverlässig absehbar. Deshalb war die vorläufige Regelung erforderlich.

2.1. Die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte zu den bei einer einstweiligen Verfügung auf Beschäftigung an den Verfügungsgrund anzulegenden Anforderungen ist uneinheitlich.

Einerseits wird vertreten, eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung vor erstinstanzlicher Entscheidung im Kündigungsschutzverfahren komme im Falle einer offensichtlich unwirksamen Kündigung nur in Betracht, wenn zugleich besondere schutzwürdige Belange des Arbeitnehmers vorlägen, die das Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung im Einzelfall zurücktreten lasse. Beide Voraussetzungen müssten im Eilverfahren kumulativ erfüllt sein, denn das Bestehen eines Weiterbeschäftigungsanspruchs genüge noch nicht als Verfügungsgrund. Für das als Verfügungsgrund zusätzlich erforderliche überwiegende Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers könnten nur solche Umstände in Betracht kommen, die während des unangefochtenen Bestands des Arbeitsverhältnisses das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers noch verstärkten, wie ZB die Geltung in der Berufswelt, die Ausbildung oder die Erhaltung von Fachkenntnissen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 19. Februar 2021 – 8 SaGa 11/20 – Rn. 88, 90 mwN).

Andererseits wird vertreten, der Verfügungsgrund ergebe sich bereits daraus, dass der Verfügungsanspruch bestehe und durch Zeitablauf vereitelt werde, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung nicht durch einstweilige Verfügung aufgegeben werde. Einer besonderen Dringlichkeitssituation bedürfe es nicht, da die einstweilige Verfügung gerade den Zweck habe, den endgültigen Rechtsverlust durch die potentiell lange Dauer des Hauptsacheverfahrens zu vermeiden (LAG Hessen 28. Juni 2010- 16 SaGa 811/10 – Rn. 26 mwN). Wenn der Verfügungsanspruch keinen rechtlichen Bedenken begegne, seien keine besonderen Anforderungen an den Verfügungsgrund zugunsten des die Weiterbeschäftigung begehrenden Arbeitnehmers zu stellen, denn ein berechtigtes Interesse des Arbeitsgebers an der Aufrechterhaltung eines offenkundig rechtswidrigen Zustandes sei nicht anzuerkennen (LAG Hamm (Westfalen) 13. Februar 2015 – 18 SaGa 1/15 – Rn. 37; 5. Februar 2021 – 12 SaGa 1/21 Rn. 32, jeweils mwN). Je mehr für das Vorliegen des Verfügungsanspruchs spreche, desto geringere Anforderungen seien an den Verfügungsgrund zu stellen (LAG Baden-Württemberg 27.Mai 2021 -3 SaGa 1/21 – Rn. 18).

2.2. Vorliegend liegt der Verfügungsgrund nach Einschätzung der Kammer vor, weil die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des wegen der offensichtlichen Unwirksamkeit der Kündigung bestehenden Beschäftigungsanspruchs ohne einstweilige Regelung endgültig vereitelt wird. Zur Abwendung dieser Gefahr ist die einstweilige Verfügung unter Abwägung der Interessen der Parteien erforderlich. Die Kammer schließt sich im Ergebnis der zweiten vorgenannten Auffassung an. Im Falle der offensichtlichen Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung wegen des Verstoßes gegen den gesetzlichen Sonderkündigungsschutz eines Arbeitnehmers sind die Anforderungen an den Verfügungsgrund abgeschwächt.

Aufgrund der offensichtlich unwirksamen Kündigung des Arbeitsverhältnisses hat der Verfügungskläger einen Beschäftigungsanspruch wie im ungekündigten Arbeitsverhältnis. Seine Nichtbeschäftigung erfolgt offensichtlich rechtswidrig, und die zu beanspruchende Beschäftigung kann wegen des täglich endgültigen Untergangs des Beschäftigungsanspruchs nicht nachgeholt werden. In einem solchen Fall ist die Frage der zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinenden Regelung iSd. § 940 ZPO in einer Abwägung der beiderseitigen Interessen zu beantworten. An das Vorliegen des Merkmals „Abwendung wesentlicher Nachteile“ sind keine gesteigerten Anforderungen zu stellen. Unter Abwägung der beiderseitigen Belange erscheint es damit erforderlich, der Verfügungsbeklagten aufzugeben, den Verfügungskläger bis zur Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge in der Hauptsache, längstens bis zum 11.03.2022 weiter zu beschäftigen.

Ein gesteigertes Beschäftigungsinteresse des Verfügungsklägers ist im Übrigen unter Berücksichtigung seiner im Zusammenhang mit der erstmaligen Betriebsratswahl übernommenen Aufgaben anzuerkennen. Soweit der Verfügungskläger im Verfahren geltend gemacht hat, er bedürfe in seiner Funktion als Wahlbewerber des persönlichen Kontaktes zu den Kolleginnen und Kollegen im laufenden Arbeitsverhältnis, konnte dies zum Zeitpunkt der Entscheidung im Berufungsverfahren nicht mehr relevant sein, weil die Betriebsratswahl im November 2021 stattgefunden hat. In dem diesbezüglich von der Verfügungsbeklagten eingeleiteten Wahlanfechtungsverfahren ist noch keine Entscheidung ergangen, und aufgrund der durchgeführten Wahl besteht zunächst der gewählte Betriebsrat, dem auch der Verfügungskläger angehört. Auch für die Tätigkeit als Betriebsratsmitglied ist eine regelmäßige Präsenz im Betrieb nachvollziehbar vorrangig vor der nur gelegentlichen Anwesenheit im Betrieb zur Erledigung von Betriebsratsarbeit erforderlich. Zwar verwehrt die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger unstreitig nicht den Zugang zum Betrieb zum Zwecke der Ausübung von Betriebsratsarbeit. Der Verfügungskläger hat jedoch nachvollziehbar geschildert, dass er es zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes für erforderlich erachtet hat, angesichts der Nichtbeschäftigung durch die Verfügungsbeklagte vorübergehend eine andere Tätigkeit mit der Folge aufzunehmen, dass er erforderliche Betriebsratsarbeit nicht während der Arbeitszeit, sondern zusätzlich zur Arbeitszeit im anderen Beschäftigungsverhältnis ausüben muss. Das Beschäftigungsinteresse des Verfügungsklägers bei der Verfügungsbeklagten wird daher durch seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten als Betriebsratsmitglied verstärkt. Dies hat der Verfügungskläger mit seinen Ausführungen zur praktischen Auswirkungen seiner Nichtbeschäftigung im Kammertermin des Berufungsverfahrens verdeutlicht.

Seinem Beschäftigungsinteresse stehen keine überwiegenden Interessen der Verfügungsbeklagten an seiner Nichtbeschäftigung entgegen. Im Hinblick auf die offensichtliche Unwirksamkeit der erklärten außerordentlichen Kündigung erweist sich die Nichtbeschäftigung des Verfügungsklägers als rechtswidrig. Die dem Verfügungskläger zur Begründung der außerordentlichen Kündigung vorgehaltenen Pflichtverletzungen sind — bei unterstellter Richtigkeit des diesbezüglichen Vortrags der Verfügungsbeklagten — nach Einschätzung der Kammer nicht derart gravierend, dass die vorläufige Beschäftigung des Verfügungsklägers im Betrieb der Verfügungsbeklagten bei unwirksamer Kündigung unzumutbar wäre. Dies gilt erst recht unter Berücksichtigung des Umstands, dass die erhobenen Vorwürfe inzwischen mehr als drei Monate zurückliegen, die Betriebsratswahl durchgeführt worden ist und gerade die Beschäftigung der Betriebsratsmitglieder zum Zwecke einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der Betriebsparteien geboten erscheint, solange nicht im Rahmen des Wahlanfechtungsverfahren eine etwaige Nichtigkeit der Wahl festgestellt wird.

2.3. Gegen den Verfügungsgrund spricht weder die auf den 18.01.2022 terminierte Verhandlung in der Hauptsache noch hat der Verfügungskläger mit der Einleitung und Durchführung des hiesigen Verfahrens unangemessen gezögert. Soweit die Verfügungsbeklagte erstinstanzlich die Auffassung vertreten hat, ein Verfügungsgrund scheide bereits im Hinblick darauf aus, dass der Verfügungskläger erst zwei Wochen nach Beginn der Nichtbeschäftigung mit seinem Antrag vom 22.10.2021 seinen Beschäftigungsanspruch verfolgt hat, überzeugt dies nicht. Ein Abwarten in diesem zeitlich begrenzten Umfang wirkt sich nicht aus. Auch die anstehende Entscheidung im Hauptsacheverfahren führt nicht zum Wegfall der Dringlichkeit, da von einer verfahrensbeendenden Entscheidung nicht zuverlässig ausgegangen werden kann (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 14. April 2021 -15 TaBVGa 401/21 – Rn. 39; LAG Baden-Württemberg 27. Mai 2021 – 3 SaGa 1/21 -Rn. 21).

Die Kammer hat den Beschäftigungsanspruch des Verfügungsklägers 11.03.2022 begrenzt, da vorliegend ausschließlich seine Nichtbeschäftigung aufgrund der erfolgten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Streit steht. Mit der im Tenor erfolgten Klarstellung ist keine teilweise Zurückweisung des Antrags verbunden, da ein etwaiger Anspruch des Verfügungsklägers auf Beschäftigung nach dem 11.03.2022 nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist. Sollte eine Entscheidung über die Kündigungsschutzanträge im Hauptsacheverfahren bis zum 1 1.03.2022 nicht getroffen worden sein, endet die Verpflichtung zur vorläufigen Beschäftigung des Verfügungsklägers auf der Grundlage der vorliegenden Entscheidung mit dem Fristablauf am 11.03.2022. Ein etwaiger Anspruch des Verfügungsklägers auf seine vorläufige Beschäftigung nach dem 11.03.2022 im Zusammenhang mit der von ihm im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Unwirksamkeit der Befristung des Arbeitsverhältnisses ist nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens, sondern ausschließlich Gegenstand des Hauptsacheverfahrens.