Neue Arbeitsstättenverordnung und barrierefreier Arbeitsplatz

Barrierefreie Arbeitsstätte – Chance auf Inklusion behinderter Menschen erneut vertan – die neue Arbeitsstättenverordnung

Verfasst von Rechtsanwalt Martin Bechert 2. Februar 2015 · Aktualisiert: 31. März 2021

Der Bundesregierung liegt derzeit die „Verordnung zur Änderung von Arbeitsschutzverordnungen“ zur Zustimmung vor. Eine Änderung ist insbesondere im Hinblick auf die geltende Regelung zum Einrichten und Betrieben von Arbeitsstätten bezüglich der Beschäftigung von Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen dringend geboten. In der derzeitigen Fassung des § 3a Abs. 2 ArbStättV wird der Arbeitgeber, nur dann zur barrierefreien Ausgestaltung der Arbeitsstätte verpflichtet, wenn in der Arbeitsstätte tatsächlich ein Mensch mit Behinderung dort beschäftigt ist. Die vorgesehene Änderung der Vorschrift bezieht sich insoweit aber nur auf die Erweiterung der barrierefreien Einrichtung der Arbeitsstätte auch auf Sanitär-, Pausen- und Bereitschaftsräumen, Kantinen, Erste-Hilfe-Räumen und Unterkünfte. Die vorgesehenen Änderungen reichen nicht aus.

Deutschland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht gerecht

Auch mit der „neuen“ Arbeitsstättenverordnung wird Deutschland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht gerecht. Zudem wird die Arbeitsstättenverordnung auch in der neuen Fassung – wie bereits in der Vergangenheit – die Einstellung von Bewerbern mit Behinderung eher verhindern.

Zum einen dient die Arbeitsstättenverordnung der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (UN-Behindertenrechtskonvention). Nach Art. 27 UN-Behindertenrechtskonvention ist es Pflicht der Vertragsstaaten, aktiv in die unternehmerische Freiheit einzugreifen, um eine gleichberechtigte Teilhabe „in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld“ zu gewährleisten. Die Verpflichtungen aus Art. 27 UN-Behindertenrechtskonvention werden bislang nicht vollständig umgesetzt. § 3a Abs. 2 ArbStättV legt den Arbeitgebern erhebliche Pflichten zum Bereitstellen und Ausgestalten von Arbeitsstätten für Menschen mit Behinderung auf.

Staatliche Unterstützungen werden dem Arbeitgeber aber nur in Aussicht gestellt, sofern die Beschäftigten schwerbehindert oder mit Ihnen gleichgestellt sind. Wird gegen die barrierefreie Einrichtung von Seiten des Arbeitgebers verstoßen, so wird dies auch zukünftig nicht als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Nach Art. 33 Abs. 2 Behindertenrechtskonvention besteht die Verpflichtung für die Überwachung der Durchführung des Übereinkommens eine effektiv arbeitende Struktur zu schaffen – auch insoweit erfüllt Deutschland beharrlich seine völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht. Hierzu kann es nicht passen, wenn die Nichterfüllung der Arbeitgeberpflicht zur barrierefreien Beschäftigung sanktionslos bleibt.

Anreiz für die Nichtbeschäftigung von Menschen mit Behinderung

Nach dem Wortlaut des § 3a ArbStättV scheint die Verpflichtung zur barrierefreien Einrichtung und Betrieb der Arbeitsstätte nur denjenigen Arbeitgeber treffen, der Menschen mit Behinderung beschäftigt. So wird das auch von den Aufsichtsbehörden gesehen. Diese falsche Rechtsauffassung führt dazu, dass ein Anreiz für die Nichtbeschäftigung von Menschen mit Behinderung gesetzt wird. Nur derjenige Arbeitgeber, der Menschen mit Behinderung beschäftigt, wird als verpflichtet angesehen – gegebenenfalls unter Aufwendung erheblicher finanzieller Aufwendungen – barrierefreie Verhältnisse zu schaffen. Die Folge ist klar: Der Arbeitgeber, der eine Einstellungsentscheidung für einen Bewerber mit Behinderung trifft, wird gleichsam bestraft, indem er nunmehr auch für entsprechende Verhältnisse im Betrieb zu sorgen hat.

Dies steht im klaren Widerspruch zu den Grundprinzipien des modernen Behindertenrechts wie auch des Antidiskriminierungsrechts. Auch insoweit wird neben der EU‑Antidiskriminierungsrichtlinie auch gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstoßen. Konnte man in der Vergangenheit mit einer „verunglückten Formulierung“ des § 3a ArbStättV argumentieren, so wird dies nach der Überarbeitung wohl nicht mehr in Frage kommen. Die neue Arbeitsstättenverordnung stellt daher bezüglich der Vorschrift zur barrierefreien Einrichtung von Arbeitsstätten im Ergebnis vor allem eins dar: Eine Verschlimmbesserung der bestehenden Vorschrift.