Das Problem:
Nach deutschem Urlaubsrecht muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr genommen werden. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei Krankheit, kann der Urlaub noch bis zum 31.März des Folgejahres genommen werden. Wird der Urlaub nicht rechtzeitig genommen, verfallen die Ansprüche ersatzlos.
Abertausende Tage Urlaub sind verfallen
In der Folge sind abertausende Urlaubstage verfallen. Etwa wenn Arbeitnehmer*innen ihren Urlaub bei starken betrieblichen Arbeitsanfall aus Pflichtgefühl schlicht nicht genommen haben.
Das deutsche Recht verletzt mit dieser Regelung europäisches Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zunächst für den Fall entschieden, dass der Urlaub wegen einer Krankheit des Arbeitnehmer*in nicht genommen werden konnte. In einer weiteren Entscheidung hat der EuGH den Verfall davon abhängig gemacht, dass der Arbeitgeber seinen Teil dazu beiträgt, dass der Arbeitnehmer*in seinen Urlaub erhält. Diese Vorgabe des EuGH hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr in das deutsche Urlaubsrecht integriert.
Der Fall:
Der Arbeitgeber beschäftigte den Arbeitnehmer*in vom 01.08.2001 bis zum 31.12.2013 als Wissenschaftler. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Arbeitnehmer*in ohne Erfolg, den von ihm nicht genommenen Urlaub im Umfang von 51 Arbeitstagen aus den Jahren 2012 und 2013 mit einem Bruttobetrag iHv. 11.979,26 Euro abzugelten. Einen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs hatte er während des Arbeitsverhältnisses nicht gestellt.
Die Entscheidung:
§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG sieht vor, dass Urlaub, der bis zum Jahresende nicht gewährt und genommen wird, verfällt. Das galt nach bisheriger Rechtsprechung selbst für den Fall, dass der Arbeitnehmer*in den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos aufgefordert hatte, ihm Urlaub zu gewähren. Allerdings konnte der Arbeitnehmer*in unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatz verlangen, der während des Arbeitsverhältnisses auf Gewährung von Ersatzurlaub und nach dessen Beendigung auf Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage gerichtet war.
Der Arbeitgeber muss Arbeitnehmer*in auffordern seinen Urlaub zu nehmen
Diese Rechtsprechung hat der Senat weiterentwickelt und damit die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgrund der Vorabentscheidung vom 06.11.2018 (– C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften]) umgesetzt. Nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ist es dem Arbeitgeber vorbehalten, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche der Arbeitnehmer*innen festzulegen. Zwar zwingt die Vorschrift den Arbeitgeber nicht dem Arbeitnehmer*in von sich aus Urlaub zu gewähren, allerdings obliegt ihm unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Arbeitgeber gehalten, „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer*in tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun“. Der Arbeitgeber hat klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer*in ihn nicht nimmt.
Der Anspruch der Arbeitnehmer*innen auf bezahlten Jahresurlaub erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und die Arbeitnehmer*innen den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen haben.
Das Fazit:
Danach ist der Verfall des Urlaubs aus unserer Sicht praktisch aufgehoben. Schafft der Arbeitgeber frühzeitig davon Klarheit, dass der nicht genommene Urlaub zum Jahresende verfällt, werden die Arbeitnehmer*innen in aller Regel den Anspruch geltend machen.
Der Urlaub von mehreren Jahren addiert sich
Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung zudem deutlich gemacht, dass sich die Urlaubsansprüche mehrerer Jahre aufaddieren können. Einige Arbeitgeber werden hier zu einer neuen Praxis finden müssen, denn sie wollen nicht zum Ende des Arbeitsverhältnisses böse Überraschungen erleben.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 541/15 –