Kino Colosseum | Arbeitnehmer*innen wollen anderen Insolvenzverwalter

Arbeitgeber und vorläufiger Insolvenzverwalter informieren seit Wochen den Betriebsrat vom Kino Colosseum nicht ordnungsgemäß. Jetzt reicht es den Arbeitnehmer*innen. Gemeinsam mit dem Betriebsrat verlangen sie einen anderen Insolvenzverwalter.

Verfasst von Rechtsanwalt Martin Bechert 14. Juli 2020 · Aktualisiert: 30. Januar 2024

Demo_Kino-Colosseum

Arbeitnehmer*innen und Betriebsrat sind der Meinung, dass der vorläufige Insolvenzverwalter und der Arbeitgeber sich wegen der unterbliebenen Information zur Erarbeitung eines Alternativkonzeptes vielleicht sogar strafbar gemacht haben könnten. Sie wollen nicht, dass der vorläufige Insolvenzverwalter Sebastian Laboga von der Kanzlei PLUTA zum endgültigen Insolvenzverwalter eingesetzt wird. Sie haben sich deshalb an das Amtsgericht Charlottenburg gewendet, das über die Person des Insolvenzverwalters entscheidet. Das entsprechende Schreiben vom heutigen Tage ist im Folgenden anonymisiert veröffentlicht.

An das Amtsgericht Charlottenburg

EILT!
BITTE SOFORT VORLEGEN!

In dem
Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der
Kino Colosseum Betriebsgesellschaft mbH
– 36k IN 2493/20 –

zeigen wir an, dass wir die Vertretung folgender 24 Arbeitnehmer*innen (Gläubiger) der vorgenannten Gesellschaft (Schuldnerin) vertreten:

 

Es wird anwaltlich versichert, dass die Vorgenannten in einem Arbeitsverhältnis zur Schuldnerin stehen. Eine auf uns lautende Vollmacht liegt diesem Schreiben im Original an.

Daneben vertreten wir auch den im Betrieb der vorbezeichneten Gesellschaft (Schuldnerin) gebildeten Betriebsrat.

Namens und in Vollmacht unserer Mandantschaft, das heißt aller von uns vertretenen Arbeitnehmer*innen und des Betriebsrats, bitten wir

1. von einer Bestellung des Rechtsanwalts Sebastian Laboga zum Insolvenzverwalter der Kino Colosseum Betriebsgesellschaft GmbH abzusehen,

hilfsweise, für den Fall, dass Rechtsanwalt Sebastian Laboga zum Insolvenzverwalter der Kino Colosseum Betriebsgesellschaft GmbH bestellt wir,

2. einen ggf. vorläufige Gläubigerausschuss einzusetzen, in welchem der Unterzeichnende die Arbeitnehmer*innen als Gläubiger vertritt.

I.
Mit Beschluss vom 20.05.2020 setzte das Amtsgericht Charlottenburg Rechtsanwalt Sebastian Laboga als vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter ein. Mit E-Mail vom 28.05.2020 zeigte der vorläufige Insolvenzverwalter gegenüber dem Betriebsrat seine Bestellung an und forderte den Betriebsrat auf, sich mit einem Mitarbeiter der Kanzlei, Herrn R., in Verbindung zu setzen. Am 28.05.2020 erhielt der Betriebsrat Kenntnis von der Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Nach am 28.05.2020 zeigten wir gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Vertretung des Betriebsrats an. Wir vertreten den Betriebsrat seit Jahren regelmäßig. Die anwaltliche Vertretung ist bei der Schuldnerin bekannt.

Beweis:  E-Mail vom 28.05.2020

Bereits mit E-Mail vom 03.06.2020 schlug der vorläufige Insolvenzverwalter den Abschluss eines standartmäßigen Interessenausgleichs und Sozialplan vor, der die Schließung des Betriebs vorsah.

Beweis:  E-Mail vom 03.06.2020

Am 12.06.2020 teilte der vorläufige Insolvenzverwalter mit, dass die Fertigung des Gutachtens wahrscheinlich bis Ende Juli 2020 andauern würde. Er schlug gleichwohl erneut den Abschluss eines Interessenausgleiches über die Schließung des Betriebs vor.

Am 20.06.2020 wendete sich der Insolvenzverwalter an die Presse und erklärte laut Presseberichten folgendes:

„Das Colosseum in Prenzlauer Berg stellt den Betrieb ein. […] Um die Kosten einzuspielen, müssen durchschnittlich 70 Prozent der Plätze belegt sein. Dies ist nicht zu erreichen, wenn Besucher 1,50 Meter Abstand voneinander halten sollen.

Beweis (exemplarisch):     Artikel: „Berliner Traditionskino Colosseum öffnet nicht wieder“ – www.RBB24.de vom 20.06.2020

Der Betriebsrat erhielt bis heute keine Informationen zu der derzeitigen wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin. Die laufenden Kosten des Kinobetriebs sind dem Betriebsrat bislang ebenfalls nicht mitgeteilt worden.

In einem Treffen der Betriebsparteien am 22.06.2020, an dem auch Rechtsanwalt B. und der Mitarbeiter R., aus der Kanzlei PLUTA teilnahmen, erklärte der Betriebsrat ein Alternativkonzept erstellen zu wollen. Es wurde vereinbart, dass eine umfassende Information des Betriebsrats erfolgen solle. Der Geschäftsführer Sammy Brauner persönlich sagte dies zu. Er erklärte wörtlich:

„Ich habe nichts zu verbergen.“

Nachdem die Schuldnerin auch eine Woche später die entsprechen Informationen weiterhin schuldig blieb, wurde sie mit E-Mail vom 30.06.2020 unter Fristsetzung bis zum 07.07.2020 noch einmal an ihre diesbezügliche Pflicht erinnert.

Beweis:  Anwaltliche E-Mail vom 30.06.2020

Mit E-Mail vom 01.07.2020, bei der der vorläufige Insolvenzverwalter ins cc gesetzt worden ist, teilt der Geschäftsführer der Schuldnerin, Sammy Brauner, dem Betriebsrat mit, dass die entsprechenden Informationen alle beim vorläufigen Insolvenzverwalter verfügbar wären. In der E-Mail heißt es:

„Alle im Zusammenhang mit der Insolvenz stehenden finanziellen Informationen liegen den vorläufigen Insolvenzverwaltern gemäß deren Vorgaben vor. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an die Kanzlei Pluta, Herrn B..“

Beweis: E-Mail vom 01.07.2020

Daraufhin wendete sich der Unterzeichnende im E-Mail vom 02.07.2020 an den vorläufigen Insolvenzverwalter, mit der Bitte, die dort vorhandene Informationen dem Betriebsrats zur Verfügung zu stellen.

Beweis: E-Mail vom 02.07.2020

Kurz vor Fristablauf am 07.07.2020 um 19:15 Uhr teilt der vorläufige Insolvenzverwalter mit, dass „noch Abstimmungsbedarf“ bestehe.

Beweis: RA PLUTA E-Mail vom 07.07.2020

In einer E-Mail vom 07.07.2020, um 20:01 Uhr, wies der Unterzeichnenden darauf hin, dass die unterbliebene rechtszeitige und umfassende Information des Betriebsrats eine Straftat, jedenfalls aber eine Ordnungswidrigkeit darstellt und stellte eine Anzeige in Aussicht.

Beweis: Rechtsanwalt Bechert, E-Mail vom 07.07.2020

Der Betriebsrat hat beschlossen, dass die Arbeitnehmer*innen als Gläubiger in Falle der Einsetzung eines Gläubigerausschusses durch den Unterzeichnenden vertreten werden. Die Vollmacht der von uns vertretenen Arbeitnehmer*innen schließt eine Einwilligung für eine entsprechende Vertretung im Gläubigerausschuss vor.

Beweis: Vollmachten, der von uns vertretenen Arbeitnehmer *in im Original (nur für das Gericht)

II.
1. § 56 Abs. 1 InsO regelt die Bestellung eines Insolvenzverwalters. Danach ist eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zum Insolvenzverwalter zu bestellen. Ziel dieser Regelung ist eine sachgerechte Durchführung des Insolvenzverfahrens und Wahrung der Interessen der Gläubiger und des Schuldners.

Der zuständige Richter hat bei der Bestimmung des Insolvenzverwalters aus dem Kreis der im Sinne des § 56 Abs. 1 InsO geeigneten Bewerber ein weites Auswahlermessen ein (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.10.1985 -III ZR 105/84 , NJW-RR 1986, S. 412 [414]).

Die Auswahlentscheidung des Richters unterliegt jedoch der Bindung an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG). Maßgebend ist vorliegend der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das Verbot einer willkürlichen Ungleichbehandlung begründet bei Einräumung von Ermessen eine Verpflichtung zu dessen sachgerechter Ausübung.

Der mit dem konkreten Fall befasste Richter darf seine Entscheidung für einen bestimmten Insolvenzverwalter nicht nach freiem Belieben treffen; er hat sein Auswahlermessen vielmehr pflichtgemäß auszuüben. Da hiernach bei der Auswahlentscheidung auch die durch Art. 3 Abs. 1 GG geschützten Interessen der geeigneten Bewerber zu berücksichtigen sind, besteht für diese im Rahmen der Bestellung zum Insolvenzverwalter ein Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung (BVerfGE 96, 100 ff., 273 (310 ff.).

Da es regelmäßig mehrere geeignete Bewerber gibt, ist dem Richter in § 56 Abs. 1 InsO Ermessen bei der Auswahl des Insolvenzverwalters eingeräumt. Dieses Ermessen soll eine Entscheidung unter angemessener Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen der Gläubiger und des Schuldners ermöglichen.

Entscheidet der Richter nach dieser Maßgabe und unter Nutzung seines Einschätzungs- und Auswahlspielraums, liegt darin insbesondere keine Verletzung des Gleichheitssatzes gegenüber dem Mitbewerber.

Bei der Auswahl des Insolvenzverwalters aus dem Kreis der geeigneten Bewerber sind die Interessen der Gläubiger und des Schuldners des konkreten Insolvenzverfahrens maßgebend. Danach richtet sich die Auswahl sachgerechter Kriterien.

Vorrangiger Zweck des Insolvenzverfahrens ist unter Berücksichtigung der Lage des Schuldners die bestmögliche Befriedigung der Forderungen der Gläubiger, die auch im Rahmen der Zwangsvollstreckung als private vermögenwerte Rechte von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt sind (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.06.2005 –1 BvR 224/05 -, NZM 2005, S. 657 [659]).

Das neue Vorschlagsrecht in § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 InsO gibt den Gläubigern die grundsätzliche Möglichkeit, auf die Auswahl des Insolvenzverwalters Einfluss zu nehmen. Für das Insolvenzgericht ist dieser Vorschlag nicht bindend. In dem neuen § 56a InsO ist die Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestellung geregelt.

III.
Für den Fall der Bestellung von Herrn Rechtsanwalt Sebastian Laboga, oder einem andere Rechtsanwalt der Kanzlei PLUNTA, kündigen wir bereits jetzt im Sinne einer Sicherstellung einer echten Prüfung der Fortführungsmöglichkeiten an, für die von uns vertretenen Arbeitnehmer*innen alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszunutzen.

Hierzu im Einzelnen:

1. Der eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter hat – entgegen seiner gesetzlichen Stellung – mit dem Betriebsrat in der Rolle des Arbeitgebers Verhandlungen zum Interessenausgleich und Sozialplan aufnehmen wollen; dabei hat er offensichtlich die Informationsphase geflissentlich übersprungen, obgleich der Gesetzgeber diese in § 111 Abs.1 Satz 1 eine umfassende Informationen des Betriebsrat zwingend vorschreibt. Unterbleibt eine umfassende Information, so handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, wie sich aus § 121 Abs. 1 BetrVG ergibt.

Erfolgt die Information des Betriebsrats nicht, wahrheitswidrig unvollständig oder verspätet mit dem Vorsatz die Tätigkeit des Betriebsrats zu behindern (bedingter Vorsatz reicht aus), so macht sich der Arbeitgeber einer Straftat schuldig, die nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 1. Alt. BetrVG, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden kann.

Es gibt nach hiesiger Auffassung gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass sich der vorläufige Insolvenzverwalter als Mittäter oder im Wege der Beihilfe die Tätigkeit des Betriebsrats im Sinne der vorgenannten Vorschrift behindert hat.

Wir gehen davon aus, dass der vorläufige Insolvenzverwalter die arbeitgeberseitige Verpflichtung zur Information und Verhandlung eines Interessenausgleichs VOR endgültiger Betriebsschließung weiß. Dies ergibt sich schon daraus, dass der Insolvenzverwalter selbst dem  Betriebsrat am 03.06.2020 den Abschluss eines Interessenausgleiches vorgeschlagen hat.

Aus dem Schreiben des Geschäftsführers ergibt sich zudem, dass die Informationen bei dem vorläufigen Insolvenzverwalter Information vorlagen. Diese wurden vom vorläufigen Insolvenzverwalter trotz entsprechender Nachfrage mit E-Mail vom 02.07.2020 bis zum 07.07.2020 nicht übermittelt. Stattdessen soll „Abstimmungsbedarf“ bestanden haben. Aus Sicht des Betriebsrats ist unklar, worin der Abstimmungsbedarf zwischen Arbeitgeber und vorläufigem Insolvenzverwalter (der ja zum Schutz der Masse für die Gläubiger, also vor allem der Arbeitnehmer*innen! eingesetzt worden ist) bestehen soll. Es macht den Eindruck, der vorläufige Insolvenzverwalter wollte die vollständige Übermittlung der Informationen verhindern oder jedenfalls verzögern bis die Umsetzung eines Alternativkonzepts schon aufgrund der bis dahin kollusiv von Arbeitgeber und vorläufigen Insolvenzverwalter geschaffenen Fakten, etwa der Rückgabe der Immobile, weiter erschwert bzw. unmöglich gemacht wird.

Dieser Eindruck verstärkt sich, weil der Insolvenzverwalter unmittelbar vor dem ersten Treffen der Betriebsparteien vom 22.06.2020 der Presse am 20.06.2020 verkündet hat, dass das Kino Colosseum geschlossen werde. Er verkündete damit eine Entscheidung, die der Arbeitgeber ausweislich andauernder Interessenausgleichsverhandlungen noch nicht endgültig getroffen hat.

Darüber hinaus, wurde die E-Mail vom 07.07.2020 erst nach den üblichen Öffnungszeiten der Kanzlei des Unterzeichners abgesendet. Es dies verstärkt ebenfalls den Eindruck, dass hier lediglich Zeit geschunden werden sollte.

2. Bereits am 03.06.2020 schlug der vorläufige Insolvenzverwalter den Abschluss eines Interessenausgleichs über die sofortige und endgültige Schließung des Kinos vor. Wir gehen davon aus, dass eine Alternative zu diesem Zeitpunkt und auch im weiteren Verfahren nicht in Betracht gezogen worden ist. Dies ergibt sich schon aufgrund des Zeitauflaufs. Innerhalb von zwei Wochen nach der Bestellung lässt sich eine solche Prüfung nicht ordnungsgemäß durchführen.

3. Es ist bislang ungeprüft geblieben, ob eine (ggf. auch eingeschränkte) Wiederaufnahme des Kinobetriebs bis zum 31.12.2020 weitere Einnahme für die Gläubiger schaffen könnte. Angesichts des laufenden Pachtvertrags bis zum 31.12.2020 dürfte unserer ersten Einschätzung nach es besser sein, dass Haus (teilweise) wiederzueröffnen anstatt Pacht für Räumlichkeiten zu zahlen, die nicht verwendet werden. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil im Falle der Wiederaufnahme des Betriebs auch Kurzarbeitergeld und Coronahilfen beantragt werden könnten.

Nach alledem bitten wir, NICHT einen Rechtsanwalt der Kanzlei PLUTA einzusetzen.

Wichtig ist uns bei der Bestellung des Insolvenzverwalters, dass sichergestellt wird, dass
– der Betriebsrat nach den gesetzlichen Bestimmungen durch den Insolvenzverwalter umfassend informiert und verhandelt wird und
– gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter ordnungsgemäße und nachvollziehbar eine Prüfung einer Alternative im Sinne der vertrauensvollen
Zusammenarbeit (§ 2 Abs 1 BetrVG) durchgeführt werden kann.

Die konkrete Auswahl eines Insolvenzverwalters obliegt dem Gericht. Wir bitten aber unsere begründeten Bedenken in diese Überlegungen mit einzubeziehen.

Der guten Ordnung halber teilen wir zudem mit, dass wir dieses Schreiben in anonymisierter Form veröffentlichen und beabsichtigen die interessierte Öffentlichkeit auch über den weiteren Fortgang der Angelegenheit zu informieren.

Hochachtungsvoll

Bechert
Rechtsanwalt