BEM vor krankheitsbedingten Kündigung

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchführen, auch wenn der Beschäftigte dies in früheren Zeiten abgelehnt hat?

Verfasst von Rechtsanwalt Martin Bechert 13. März 2018 · Aktualisiert: 9. September 2021

Die krankheitsbedingte Kündigung

Die krankheitsbedingte Kündigung ist erst dann gerechtfertigt, wenn keine andere Möglichkeit mehr besteht, die Folgen der gesundheitsbedingten Ausfälle des Arbeitenden auf ein zumutbares Maß zurückzuführen. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ist ein Verfahren um zu ermitteln, ob und welche Möglichkeiten dafür bestehen. Es ist zwingend durchzuführender Teil vom betrieblichen Gesundheitschutz. In § 167 SGB IX heißt es:

„Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).“

Der Arbeitgeber genügt seiner Verpflichtung also schon dann, wenn er das Betriebliche Eingliederungsmanagement dem Arbeitnehmer*in anbietet, dieser es aber ablehnt. Muss der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer*in ein BEM auch dann noch anbieten, wenn er es bereits zu einem früheren Termin abgelehnt hat?

Der Fall

Die Arbeitnehmerin wurde mit Schreiben von 20.09.2015 nach einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren als Flugbegleiterin krankheitsbedingt gekündigt. Kurz vor der Kündigung wurde sie noch zu einem Fehlzeitengespräch eingeladen. In dem Gespräch bot sie dem Arbeitgeber an, sämtliche ärztliche Fehldiagnosen offenzulegen, sich werksärztlich untersuchen zu lassen und alle Maßnahmen, die sich daraus ergeben könnten, durchzuführen. Es half nichts. Der Arbeitgeber kündigte sie trotzdem.

Die zuständige Personalvertretung widersprach der Kündigung. Das Fehlzeitengespräch war kein BEM-Gespräch. Der Arbeitgeber hatte allerdings bei früheren Erkrankungen der Arbeitnehmerin im Oktober 2013 und März 2014 ein BEM angeboten. Die Arbeitnehmerin hatte dies damals abgelehnt. In einer E-Mail hatte sie darauf hingewiesen, dass sie angesichts der Art ihrer Erkrankung (Fraktur der linken Ferse, Bänderriss im rechten Fuß) keine Notwendigkeit für ein BEM-Gespräch sehe.

Der Arbeitgeber meinte, dass er nach dieser Ablehnung auch bei einer neuen Arbeitsunfähigkeit 18 Monate später nicht gehalten sei, der Arbeitnehmerin noch einmal ein BEM anzubieten. Die Arbeitnehmerin erklärte, dass für die aktuellen Arbeitsunfähigkeitszeiten vor allem eine Schilddrüsenunterfunktion verantwortlich wäre. im Rahmen des BEM wäre zu klären gewesen, ob Änderungen in der Arbeitszeit als milderes Mittel in Betracht gekommen wären.

Das Arbeitsgericht gab dem Arbeitgeber Recht und hielt die Kündigung für gerechtfertigt. Gegen das Urteil legt e die Arbeitnehmerin Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht musste entscheiden.

Die Entscheidung

Anders als das Arbeitsgericht entschied das Landesarbeitsgericht für die Arbeitnehmerin. Es hält die krankheitsbedingte Kündigung für unwirksam. Das Landesarbeitsgericht stellt trocken fest, dass Im Sommer 2015 die Voraussetzungen für ein erneutes BEM-Angebot – sechs AU-Wochen in den letzten zwölf Monaten – erneut vorlagen. Die frühere Ablehnung eines BEM durch die Arbeitnehmerin hält das Landesarbeitsgericht für keinen Grund, das aktuell erforderliche BEM-Angebot zu unterlassen – zumal die Arbeitnehmerin eine nachvollziehbare Argumentation angegeben hatte, warum sie auf das damalige BEM-Angebot nicht eingegangen sei.

Wenn der Arbeitgeber ein rechtlich gebotenes BEM unterlassen hat, trifft ihn die aus der Rechtsprechung bekannte intensivierte Darlegungs- und Beweislast. Wegen des unterlassenen BEM ist der Arbeitgeber danach verpflichtet, sämtliche Möglichkeiten auszuräumen, die als mildere Mittel in Betracht gekommen seien. Angesichts des Widerspruchs der Personalvertretung und des Hinweises auf Möglichkeiten die Arbeitszeiten anders zu verteilen stellt die Kündigung sich nicht als letztes Mittel dar. Die krankheitsbedingte Kündigung ist unverhältnismäßig und sozial nicht gerechtfertigt.

Das Fazit

Ohne das Einverständnis des betroffenen Beschäftigten lässt sich ein Betriebliches Eingliederungsmanagement nicht effektiv durchführen. Dies sieht auch der Gesetzgeber und macht die Zustimmung des Beschäftigten zur Voraussetzung des BEM.  Der Beschäftigte kann die Durchführung des BEM verweigern, ohne hierfür Gründe angeben zu müssen. Dies führt allerdings nicht dazu, dass bei erneutem Vorliegen der Voraussetzung für ein BEM dieses unterlassen werden kann. Es handelt sich – wie der Fall sehr gut illustriert – eben nicht um eine reine Förmelei.

Vielmehr wird die Ablehnung in dem meisten Fällen mit den konkreten Krankheiten, die zu den jeweiligen Ausfallzeiten geführt haben, in Verbindung stehen. Es kann also gerade nicht angenommen werden, dass ein Beschäftigter, der einmal ein BEM abgelehnt hat, dies immer wieder machen würde. Es bleibt der Eindruck, dass die erneute Durchführung des BEM von Arbeitgebern deshalb unterlassen wird, weil das betriebliche Eingliederungsmanagement Erfolg haben könnte; der Kündigungsentschluss aber unabhängig von den Krankheitszeiten erfolgt ist.

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 20.10.2016 – 13 Sa 356/16